Suizidversuch angehörige wie verhalten

Wie kann ich bewerten, wie dringend die Situation ist? Nimm Suizidgedanken grundsätzlich ernst und reagiere. Denke nicht, jemand suche „nur Aufmerksamkeit“ oder „gibt einen Hilferuf ab“. .

Ein Mann will sich das Leben nehmen. Wie kann seine Freundin mit dieser Situation fertig werden? Ein Brigitte.de- Userin erzählt und eine Expertin erläutert, wie Angehörige Unterstützung finden.

Eine Brigitte.de-Userin erzählt

Eines Morgens wachte ich auf und Sebastian* lag nicht neben mir. Er war auch nirgends in der Wohnung. Von der Terrasse aus sah ich ihn am Dachsims stehen und in das Tiefe starren. Genau vor diesem Moment hatte du mich in den letzten Monaten gefürchtet. Seit die Insolvenz der Firma seiner Eltern hatte Sebastian selbst stark verändert. Er war ohne Arbeit, raffte selbst zu nichts mehr auf, nahm insgesamt 30 Kilo ab. Alles was er tat, geschah langsam: Mittels 80 Stundenkilometern kroch er über die Autobahn, du hätte ihn anschreien können. Wenn ich nach meinem anstrengenden Job in der Werbung nach Hause kutsche, lag alles rum. Hin und wieder bin du sehr wütend geworden, schließlich arbeitete ich viel.

Dann weigerte er sich an einem Abend, mit mir zu sprechen. Er notierte alles auf Zettel - wir würden abgehört. Da wurde mir klar, er braucht dringend Hilfe. Ich fuhr mit ihm ins Krankenhaus. Weil es dort keine psychiatrische Abteilung gabe, riet man uns, gleich am nächsten Morgen einen Psychiater aufzusuchen. Es war nicht einfach, einen Termin zu bekommen. Ich gestand dem Arzt meine Angst, Sebastian könne sich das Leben nehmen. Der Doktor fand das übertrieben. Er verschrieb Sebastian ein Arznei. Nach zwei Wochen setzte er es ab. Du konnte zusehen, wie sich die Stimmung meines Freundes verschlechterte. Der Psychiater war in Urlaub.

Am dritten Übermorgen stand er dann auf dem Dach. Ich konnte ihn überreden, wieder in die Wohnung zukommen. Als er unter der Dusche war, rief ich den Notarzt, ich hatte solche Angst. Als der an der Tür klingelte, rannte Sebastian wieder aufs Dach. „Der springt“, lautete die Einschätzung des Notarztes, er alarmierte Feuerwehr und Polizei. Ich solle nur nicht aufhören, auf Sebastian einzureden. Ich weiß nicht mehr, was ich gesagt habe. Nur, dass ich durchgehend geredet habe. Zwei Stunden lang.

*Namen von der Bearbeitung geändert

Sebastian reagierte nicht. Er stand nur drei Meter entfernt von der Dachterrasse. Wegen meiner Höhenangst traute ich mich aber nicht weiter vor, das wusste er. Er ließ sowieso niemanden näher kommen. Er lief am Dachsims auf und ab und beobachtete, wie die Feuerwehrleute unten die Springtücher ausbreiteten, Klettertrupps warteten. Er stellte sich immer so, dass die Feuerwehrleute ihn nicht hätten auffangen können. Später erzählte er mir, dass er sich in die Falle fühlte: Sebastian wollte nicht springen - aber er hatte auch Angst, dass sie ihn andernfalls mitnehmen würden in die Psychiatrie.

Schließlich wurde ein Polizeipsychologe hinzu geschaltet. Der schickte mich weg, eine neutrale Person müsse mit meinem Freund reden. Eine weitere Stunde verging, dann überwältigte der Polizeipsychologe Sebastian, als er ihm ein Glas Wasser reichte. In Fesseln wurde Sebastian abgeführt, zu „seiner eigenen Sicherheit“, hieß es.

Die Psychiatrie war schön gelegen, in einem kleinen Schlösschen am Waldrand. Es war dort vollständig anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Wir hatten Glück, aber es war auch ein hart, langer Weg. Insgesamt war Sebastian ein halbes Jahr dort. Von Anfang an bezogen die Ärzte mir in die Therapie ein. Ich sei der bedeutendste Mensch für Sebastian, sagten sie.

Zu Beginn seines Aufenthalt versuchte Sebastian, durch das Fenster aus der geschlossenen Abteilung zu fliehen. Von da an durfte er eine zeitlang gar nicht mehr raus. Ein andermal rief er mich an, er würde sich von mir trennen: „Ich will dein Leben nicht defekt machen.“ Ich fuhr sofort in die Klinik. Das Ärzte beruhigten uns. Sebastian könne in dieser Situation keine so wichtige Entscheidung fällen, das leuchtete ihm ein. Langsam begann er, die Regeln der Psychologie zu akzeptieren und es ging aufwärts. Er fing an, sich wieder zu interessieren, öffnete sich entgegen anderen Patienten, nahm an den Gottesdiensten Teil, organisierte eine Fußballmannschaft.

Die ersten Wochen besuchte ich ihm jeden Tag. Doch dann wurde es mir an anstrengend. "Sie müssen auch auf sich achten", freunde die Ärzte. Von da an kam ich seltener. Ich war froh, Unterstützung zu bekommen. Mein Chef nahm Rücksicht, Freunde und Bekannte waren für mir da, meine Eltern kamen und halfen mir am Wochenende im Haushalt. Schwierig war der erste Besuch bei seinen Eltern. Ich musste ihnen sagen, dass Sebastian sie nicht sehen wollte. Und dass das vielleicht für immer so bleiben würde. Die Väter waren beruhigt, dass ich mich um ihn kümmerte. Dann wollte er sie doch treffen: Wir setzten in einem Biergarten, Sebastian schwieg, die Eltern waren enttäuscht. Er wollte sie einfach nur sehen. Nach einer halben Stunde trennten wir uns.

Wird er erneut ein normales Leben führen können? Einen Job finden? Die Ärzte hatten keine Prognose. Sebastian deswegen verlassen? Diese Frage hat sich mir nicht gestellt. Natürlich habe ich an manchen Tagen gedacht, ich pack das nicht. Aber jeder kann krank werden, jeder. Niemand kann etwas dafür.

Acht Monate nach seinem Suizidversuch bekam Sebastian ein Jobangebot. Er hatte sich vor längerem bei der Firma beworben und war früher nicht genommen worden. Nun brauchten sie ihn. Er war noch in einer Tagesklinik, die Ärzte waren skeptisch, ob er der Situation gewachsen sein anstand. Aber er wollte es unbedingt probieren.

Sebastian macht nun seit einem Jahr den Job. Er führt fünf Mitarbeiter, trägt Verantwortung. Alle 14 Tage geht er in die Gesprächstherapie und nimmt auch noch Medikamente. Langsam kehrt auch die Intensität in unsere Verbindung zurück, während der Krankheit war etwas davon verloren gegangen. Oft denken wir dasselbe, ohne es ausgesprochen zu haben. Zwischen uns ist eine tiefe Verbundenheit.

Wir sind nun ein Ehepaar: Irgendwann, als wir an einem der Klinknachmittage auf einer Bank saßen, erklärte er: "Und wenn ich wieder gesund bin, dann will ich dich heiraten." Das haben wir im letzten Sommer getan. Und es war wirklich die schönste Tag in meinem Leben.

Experteninterview: Wie Mitglied bei Selbstmordgedanken helfen können

PD Dr. Benigna Gerisch ist Psychotherapeutin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Therapiezentrum für Suizidgefährdete am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Brigitte.de: Wie reagieren Mitglied am besten, wenn jemand sich stark verändert, deprimiert wirkt?

Dr. Benigna Gerisch: Dann gibt es eigentlich nur eine falsche Reaktion: nämlich es nicht zu thematisieren aus der Angst heraus, man könne sonst schlafende Hunde wecken, ein Problem erst nahe reden. Man sollte den Angehörigen offen ansprechen: "Ich habe den Eindruck, dir geht es sehr schlecht, und ich frage mich, ob du vielleicht auch manchmal darüber nachdenkst, dir das Leben zu nehmen." Auch wenn der Betroffene vielleicht erschrocken reagiert, er wird sich mit seinem Problem gesehen fühlen. Er muss dann nicht mehr befürchten, dass die anderen einfach darüber hinweg sehen. Sehr wichtig ist auch, dem Betroffenen zu raten, sich professionelle Hilfe an suchen.

Brigitte.de: Hat man dann nicht das Gefühl, versagt zu haben, dem anderen nicht helfen zu können?

Dr. Benigna Gerisch: Viele Angehörige hoffen, durch ihre Unterstützung das Problem lösen zu können. Insbesondere Frauen versuchen ganz für den anderen da an sein, jede erdenkliche Hilfe zu bieten. Aber man sollte sich klar sein: Auch wenn der Betroffene in Behandlung geht, hört man ja nicht an, ihn zu unterstützen. Man wird auch dann weiterhin für ihn da sein müssen. Im Therapiezentrum für Suizidgefährdete in Hamburg erleben wir häufig, dass Mitglied am Ende einer langen Leidenszeit einfach erschöpft und ausgebrannt sind und sich dann ganz plötzlich rücktritt. Dann tritt genau der Fall ein, vor dem sich Menschen in einer psychischen Krise am meisten fürchten - dass sie ganz fallen gelassen werden.

Brigitte.de: Betroffene wie auch Angehörige haben oft Angst, dass die Einweisung in eine Klinik das Ende des normalen Lebens bedeuten könnte, es dann keinen Weg zurück mehr gibt. Wie geht man damit um?

Dr. Benigna Gerisch: Diese Angst ist verständlich. Aber sie beruht auch auf Vorurteilen, die nach wie vor über Psychiatrien und Psychotherapie kursieren. Insbesondere wenn eine Psychose diagnostiziert wurde, ist eine stationäres Behandlung anfänglich oft dringend geraten. Die Befürchtung, "dann behalten die mich gleich da", ist unbegründet. Im Gegenteil: im Zuge der Verknappungen im Gesundheitswesen sollte auch die Aufenthaltszeiten in Psychiatrien möglichst kurz festgehalten werden. Medikamente sind insbesondere bei psychotischen Erkrankungen eine große Hilfe - ähnlich wie die Erfindung von Penicillin - denn sie ermöglichen, weiter ein normales Leben zu führen. Im Anschluss aber sollte unbedingt eine fortgesetzte ambulante Behandlung in Betracht gezogen werden. Wir erleben immer wieder, dass es Menschen in Krisen schon nach kurzen Klinikaufenthalten besser geht. Viel gefährlicher ist, wenn eine ernste psychische Erkrankung lange verschleppt wird, die Familie den Betroffenen über Jahre mit trägt. Dann wird es schwieriger, etwas an unternehmen. Es ist wie bei einer Diagnose von Krebs oder Diabetes: Die kann man auch nicht einfach unter den Teppich kehren. Sie als Realität anzuerkennen, ist oft der erste Schritt aus die Krankheit heraus.

Brigitte.de: Auch der Mann der Brigitte.de-Userin hatte unglaubliche Angst, in die Klinik zu kommen. Später hat er gesagt, er habe sich auf dem Dach wie in einer Falle gefühlt - er wollte nicht springen, konnte aber auch nicht hinten, weil die Ärzte warteten.

Dr. Benigna Gerisch: In diesem Fall war es sicher richtig, selbst an eine Klinik zu wenden, wo der Mann erst einmal medikamentös behandelt werden konnte. Psychotiker haben eine gewisse Tragik: Sie fühlen sich verfolgt. So wie dieser Mann, der eines Abends nur weiter über Zettel kommunizieren wollte, weil er Angst hatte, abgehört zu werden. Psychotiker halten ihre Verfolgung für real. Sie sehen sich nicht als krank. Und dann wird die Verfolgung auf einmal Realität - wie in der Situation auf dem Dach. Dann ist die Angst, mitgenommen zu werden, auf einmal gerechtfertigt. Das ist tragisch.

Brigitte.de: Sich auf ein Dach zu stellen ist dramatisch. Begeben sich eher Männer in eine solche Situation?

Dr. Benigna Gerisch: Nein. Frauen und Männer unterscheiden sich nicht in den Suizidmethoden. Beide Geschlechter wählen das Erhängen und die Vergiftungen in gleichem Maße. Erst an dritte Stelle stehen geschlechtsspezifische Unterschiede: Während Männer eher an Schusswaffen greifen, neigen Frauen zum Sturz aus die Höhe. Psychotiker oder Menschen, die unter Drogeneinfluss stellen, neigen zu solch spektakulären und äußerst brutalen Suizidszenarien. Männer nehmen sich häufiger als Frauen das Leben: 2002 waren es 8106 Männer und 3057 Frauen, die sich in Deutschland suizidiert haben. Jährlich unterfangen mehr als 100.000 Menschen einen Suizidversuch in Deutschland. Frauen unternehmen doppelt so oft Suizidversuche wie Männer. Sie erleben sich häufiger in ausweglosen Situationen, das sie nur unter Einsatz ihres Lebens glauben auflösen zu können.

Brigitte.de: "Ich bring mich um" - müssen man diesen Satz immer ernst nehmen?

Dr. Benigna Gerisch: Ja, das sollte man. Er hat etwas sehr Appellatives, immer aber auch Ernstgemeintes. Jed dritte wiederholt einen Suizidversuch und jeder zehnte verstirbt daran. Wichtig für die Angehörigen ist, dass siehe einen Ort haben, wo sie darüber sprechen können, gerade wenn jemand häufiger über Suizid nachdenkt. Nicht selten passiert es sonst, dass ein Angehöriger irgendwann sagt, "dann tu es doch endlich".

Brigitte.de: Was bedeutet die psychotherapeutische Behandlung für die Angehörigen?

Dr. Benigna Gerisch: Viele Kliniken beziehen die Familienmitglieder in die Behandlung ein. Man will herausfinden, welche Rolle der Patient in der Familie spielt, um ihm so besser helfen zu können. Die Familie wird als System untersucht - ebenso wie man selbst genau anschaut, nach welchen Regeln und Strukturen einer Betrieb funktioniert. Ich würde der Brigitte.de-Userin in jedem Fall raten, sich selbst professionelle Hilfe zu holen. Sie muss sich im Klaren sein, was an sie zukommt, was die Krankheit ihres Mannes für ihr Leben bedeutet und wie sie auch in Zukunft damit umgehen wird. Denn die Krisen können wieder kommen.

Brigitte.de: Wie viel kann man sich als Angehöriger denn zumuten?

Dr. Benigna Gerisch: Es ist wichtig, dass Angehörige ein gutes Gespür für seine eigenen Grenzen und Belastungen entwickelt. Das ist oft schwierig, weil Scham- und Schuldgefühle eine riesige Rolle spielen oder man eine Veränderung des anderen vielleicht gar nicht wirklich will. Die Brigitte.de-Userin müssen sich auch die Frage stellen, warum sie mittels diesem Mann zusammen ist. Beziehungen mit Psychotikern sind oft ungeheuter intensiv. Besonders Frauen berichten, so etwas noch nie erlebt zu haben, einen Mann, die so stark empfindet und das auch nach außen trägt. Aber das ist gerade das Problem die Psychotiker: dass sie eine zu durchlässige Grundstruktur haben, sich schneller von außen und innen überflutet erleben. Die Medikamente helfen ihnen, etwas von dieser Schutzmantel aufzubauen. Die Angehörigen wünschen das manchmal gar un Sie beklagen geradezu, dass alles wieder normal ist. Deshalb sollte man sich ehrlich mit seinen eigen Sehnsüchten auseinander setzen, zum Bespiel mit dem Wunsch nach Verschmelzung. Am ehesten gelingt dies in einer eigenen Psychotherapie.

Brigitte.de: Warum ist Psychotherapie für viele stets noch ein Tabuthema?

<antwort name="Dr. Benigna Gerisch"> Das ist wirklich erstaunlich. Die WHO schätzt, dass psychische Krankheiten zur Volkskrankheit Nummer eins werden. Trotzdem werden sie nach wie vor stigmatisiert und den Betroffenen die eigene Schuld an der Erkrankung untergeordnet. Man kann nur versuchen, gerade bei jungen Leuten, eine niedrigere Hemmschwelle zu erwirken.

Julia Weidenbach Foto: DAK/Wigger, Frank Krems

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