Histrionische persönlichkeitsstörungen

Eine histrionische Persönlichkeitsstörung ist eine psychische Gesundheitsstörung, die gekennzeichnet ist durch ein tiefgreifendes Muster von übertriebener Emotionalität und einem .

Histrionische Persönlichkeitsstörung

Klassifikation nach ICD-10
F60.4 Histrionische Persönlichkeitsstörung
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ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Die histrionische Persönlichkeitsstörung (HPS) ist gekennzeichnet durch egozentrisches, dramatisch-theatralisches, manipulatives und extravertiertes Verhalten. Typisch sind extremes Streben nach Beachtung, übertriebene Emotionalität und eine Inszenierung gemeinschaftlicher Interaktion. Die HPS wird daher zu den „dramatisch-emotionalen Persönlichkeitsstörungen“ in Cluster B gezählt.[1][2]

Ihre Häufigkeit beträgt etwa 0,83 Prozent in der Allgemeinbevölkerung. Es gibt einen Altershöhepunkt zwischen 18 und 29 Jahren mit einer darauffolgenden altersabhängigen Abnahme.[3]

Begriffsgeschichte

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Das Adjektiv histrionisch ist eine deutsche Wortbildung aus dem Substantiv lateinischhistrio, das eine aus der etruskischen Sprache entlehnte Bezeichnung für einen Schauspieler im antiken Rom war.[4] Das auch aus englischhistrionic abgeleitete Wort bedeutet in diesem Zusammenhang schauspielerisch, theatralisch und affektiert. Das Substantiv Histrioniker bezeichnet demnach einen Menschen, der solche Verhaltensweisen aufweist.

Die Bezeichnung histrionische Persönlichkeitsstörung wurde 1980 im DSM-III eingeführt. Damit ist die HPS aus dem nur noch von der psychoanalytischen Schule verwendeten Begriff Hysterie herausgelöst und von der Konversionsstörung abgetrennt worden. Diese neue Begrifflichkeit hat sich als nötig erwiesen, da der Begriff Hysterie heute in der medizinischen Fachterminologie als veraltet gilt und ihm ein abwertender Klang anhaftet.[5][6]

Beschreibung

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Das Störungsbild ist gekennzeichnet durch eine übertriebene, labile Emotionalität und ein übermäßiges Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, Wichtigkeit, Bestätigung sowie Solidarität und Verlässlichkeit. Weitere Merkmale sind Selbstbezogenheit (Motive, Wahrnehmung, Denken, Handeln), leichte Verletzbarkeit der Gefühle und manipulatives Verhalten. Auch sexuell provokantes und verführerisches Auftreten ist oft für das klinische Bild kennzeichnend,[7] das zuweilen eine riesige Nähe zu verdecktem, verletzlichem Narzissmus aufweist, der nicht selten als Komorbidität zu diagnostizieren ist.[8]

Fallschilderungen beschreiben das (trotz häufig theatralischer Schilderung oder Darstellung) oberflächlich anmutende Präsentation von Gefühlen im Kontakt, verbunden mit unerwarteten und spontanen Wechseln, die für Gesprächspartner nur schwer nachvollziehbar sind und zudem mit einer geringen Spannungs- und Frustrationstoleranz einhergehen, die auf unmittelbare Bedürfnisbefriedigung ausgerichtet ist.[9] „Bereits geringfügige Anlässe führen zu extrem anmutenden Gefühlsveränderungen, die ihrerseits eine Veränderung des affektiven Lebens, kognitiven Urteilens und Handelns anderer in der Situation mitbewirken“.[9]

Histrionische Merkmale im klinisch nicht auffälligen Bereich stellen in Verbindung mit Kreativität. So haben Personen mittels histrionischer Tendenz eine bessere Fähigkeit zu divergentem Denken.[10]

Diagnostik

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Als Diagnoseinstrument kann neben gründlicher Anamnese und strukturiertem Interview das Hypochondrie-Hysterie-Inventar (HHI) eingesetzt werden.[11] Mithilfe dieses Testverfahrens können interaktionelle Besonderheiten wie Extravertiertheit, Ungezwungenheit und Kontaktfreudigkeit bzw. in Stress-Situationen Schuldabwehr, Selbstmitleid oder aggressives Verhalten aufgezeigt werden.[9][12]

Nach ICD-10

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Nach ICD-10 müssen mindestens vier der folgenden Merkmale oder Verhaltensweisen vorliegen:[13]

  1. Dramatische Selbstdarstellung, theatralisches Auftreten oder extrem Ausdruck von Gefühlen;
  2. erhöhte Suggestibilität, leichte Beeinflussbarkeit durch andere oder durch Ereignisse (Umstände);
  3. oberflächliche, labile Affekte;
  4. ständige Suche nach aufregenden Erlebnissen und Aktivitäten, in denen die Betroffenen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen;
  5. unangemessen verführerisch in Erscheinung und Verhalten;
  6. übermäßige Beschäftigung damit, äußerlich attraktiv zu erscheinen.

Egozentrik, Selbstbezogenheit, dauerndes Verlangen nach Anerkennung, fehlende Bezugnahme an andere, leichte Verletzbarkeit der Gefühle und andauerndes manipulatives Verhalten ergänzen das klinische Bild – diese Verhaltensweisen sind aber für die Diagnose nicht erforderlich.

Nach DSM-5

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Nach DSM-5 ist die HPS charakterisiert durch ein tiefgreifendes Muster übermäßiger Emotionalität oder Strebens nach Aufmerksamkeit. Der Beginn liegt im frühen Erwachsenenalter, und das Muster zeigt sich in unterschiedlichen Situationen. Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen voll sein:[1]

  1. Fühlt sich unwohl in Situationen, in denen er/sie nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht.
  2. Die Interaktion mittels anderen ist oft durch ein unangemessen sexuell-verführerisches oder provokantes Verhalten charakterisiert.
  3. Zeigt rasch wechselnden und oberflächlichen Gefühlsausdruck.
  4. Setzt durchweg die körperliche Erscheinung ein, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
  5. Hat einen übertrieben impressionistischen, wenig detaillierten Sprachstil.
  6. Zeigt Selbstdramatisierung, Theatralik und übertriebenen Gefühlsausdruck.
  7. Ist suggestibel (d. h. leicht beeinflussbar durch andere Personen oder Umstände).
  8. Fasst Beziehungen enger auf, als sie tatsächlich sind.

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Differentialdiagnose

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Hilfe wird im Allgemeinen nicht wegen HPS aufgesucht, sondern wegen Depressionen oder dissoziativer Störungen (auch als Konversionsstörung bezeichnet). Die Beschwerden können Organbeschwerden ähnlich sein, die bis zu Blindheit oder Läsionen reichen. Da die Beschwerden subjektiver Natur sind, kann es zu Fehldiagnosen kommen. Dabei ist in die diagnostischen und therapeutischen Interaktion zu berücksichtigen, dass es sich bei dissoziativen Störungen nicht um Simulation oder bewusstes Agieren handelt. Auch psychosomatische Beschwerden, die persönlichkeits- und störungsunabhängig auftreten und Reaktionen auf verschiedene innerpsychische Konflikte sein können, sind hiervon zu trennen. Depressive Beschwerden werden wiederum im Rahmen des histrionischen Lebens mit dem Ziel eines sekundären Krankheitsgewinns verarbeitet.[1]

Es kann vorkommen, dass bei Histrionikern aufgrund ihres manipulativen bzw. provokanten Verhaltens fälschlicherweise eine ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) diagnostiziert und in der Folge eine bei HPS kontraindizierte Behandlung mit Methylphenidat (z. B. Ritalin) eingeleitet wird. Eine solcher Fehldiagnose kann auch bei einer möglichen narzisstischen Auslenkung der HPS oder einer narzisstischen Komorbidität geschehen, da in beiden Fällen eine mangelnde Fähigkeit oder Bereitschaft zum Zuhören bestehen kann. Selbiges gilt bei dissoziativen Bewusstseinsstörungen (dissoziatives Vergessen, dissoziative Schwerhörigkeit). Da auch Kinder häufig schon im Schulalter deutliche histrionische Auslenkungen anzeigen können, ist bei ihnen eine besondere Gefahr die Fehldiagnose gegeben.

Therapie

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Histrioniker sind schwer zu behandeln: Sie können ihr Verhalten nur langsam und schwer ändern; ihnen fehlt oftmals die erforderliche Einsicht. Sie können manipulierend auf ihren Therapeuten einwirken und somit die Behandlung in eine falsche Richtlinie lenken. Dieser sollte dem Patienten die psychische Grund seiner Beschwerden verdeutlichen und dynamisch und unterstützend an ihn einwirken. Hierbei ist eine klare Begrenzung des Patienten hinsichtlich seiner manipulativen Verhaltensweisen sinnvoll.
Bei gleichzeitig vorhandener depressiver Symptomatik wird die Verwendung von SSRI empfohlen.[14]

Siehe auch

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Literatur

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  • Die Histrionische Persönlichkeitsstörung. In: Aaron Beck, Arthur Freeman: Kognitive Therapie der Persönlichkeitsstörungen. Beltz, 1995, ISBN 3-621-27155-4, S. 183–203.
  • Elisabeth Bronfen: Das verknotete Subjekt. Hysterie in die Moderne. Volk und Welt, Berlin 1998, ISBN 3-353-01125-0.
  • Peter Fiedler, Sabine C. Herpertz: Persönlichkeitsstörungen. 7. Auflage, Rot Verlag, Weinheim 2016, ISBN 978-3-621-28013-6.
  • Annegret Eckhardt-Henn, Otto F. Kernberg, Peter Buchheim, Birger Dulz: Die hysterische, theatralische Persönlichkeitsstörung. In: Persönlichkeitsstörungen, Theorie und Therapie. Heft 3, Schattauer, Stuttgart / New York 2000, ISBN 3-7945-1907-8, S. 127–175.
  • Rainer Sachse: Klärungsorientierte Psychotherapie der histrionischen Persönlichkeitsstörung. Hogrefe Verlag, Göttingen 2012, ISBN 978-3-8017-2428-3.

Weblinks

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Einzelnachweise

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  1. abcPeter Falkai, Hans-Ulrich Wittchen (Hrsg.): Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen DSM-5. Hogrefe, Göttingen 2015, ISBN 978-3-8017-2599-0, S. 914–917. 
  2. ↑Wolfgang Tress: Persönlichkeitsstörungen: Leitfaden und Quellentext. Schattauer Verlag, 2002, ISBN 3-7945-2142-0, S. 169f.
  3. ↑Claas-Hinrich Lammers, Carsten Spitzer: Die histrionische Persönlichkeitsstörung. In: PSYCH up2date. Band 14, Nr. 05, September 2020, ISSN 2194-8895, S. 435–449, doi:10.1055/a-1042-0612 (thieme-connect.de [abgerufen am 17. Juli 2023]). 
  4. Histrione. In: Dtv-Lexikon. München 2006.
  5. ↑Volker Faust: Hysterie – Hysterische Neurose – Histrionische Persönlichkeitsstörung – Dissoziative Störungen – Konversionsstörungen – Konversionshysterie. In: Psychiatrie Heute. Arbeitsgemeinschaft Psychosoziale Gesundheit. (PDF; 130 kB), 12. Januar 2011, (Archiv)
  6. hysterischer Charakter. In: Vorgänger Henrik Peters: Wörterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie. 1999, ISBN 3-86047-864-8, S. 244f.
  7. ↑11.3.4 Histrionische Persönlichkeitsstörung. In: James N. Butcher, Susan Mineka, Jill M. Hooley: Klinische Psychologie. Pearson Verlag, 2009, ISBN 978-3-8273-7328-1.
  8. ↑Rainer Sachse: Histrioniker: Mit Dramatik, Manipulation und Egozentrik zum Erfolg. Klett-Cotta Verlag, 2017, ISBN 978-3-608-96171-3.
  9. abcPeter Fiedler: Persönlichkeitsstörungen. 6. Auflage. Beltz, Weinheim/Basel 2007, ISBN 978-3-621-27622-1, S. 190–199. 
  10. ↑Adrian Furnham: The Bright and Dark Side Correlates of Creativity: Demographic, Ability, Personality Traits and Personality Disorders Associated with Divergent Thinking. In: Creativity Research Journal. Band 27, Nr. 1, 2015, S. 39–46 (tandfonline.com). 
  11. ↑Fritz Süllwold: Das Hypochondrie-Hysterie-Inventar (HHI). Konzept, Theorie, Konstruktion, meßtheoretische Qualitätskriterien, Normen und Anwendungsmöglichkeiten. In: Arbeiten aus dem Psychologischen Institut. Nr. 6, 1994. 
  12. ↑Stephan Doering, Susanne Hörz: Handbuch der Strukturdiagnostik: Ideen, Instrumente, Praxis. Schattauer Verlag, 2012, ISBN 978-3-7945-2793-9.
  13. ↑AWMF: Alte S2-Leitlinie Persönlichkeitsstörungen (gültig von 2008 bis 2013) (Memento vom 23. Januar 2013 im Internet Archive), S. 10.
  14. ↑Frank Schneider: Facharztwissen Psychiatrie und Psychotherapie. Springer-Verlag GmbH, Belin Heidelberg 2012, ISBN 978-3-642-17191-8, S. 417. 

Dieser Stück behandelt ein Gesundheitsthema. Er dient weder der Selbstdiagnose noch wird dadurch eine Diagnose durch einen Doktor ersetzt. Bitte hierzu den Hinweis zu Gesundheitsthemen beachten!